150 Jahre SPD: „Der rote Großvater erzählt“

Veröffentlicht am 22.03.2013 in Veranstaltungen

Heinz Martin: Der rote Großvater erzählt

Heinz Martin berichtet über die Kommunalpolitik in Heidenheim in den dreißiger und vierziger Jahren

Der SPD Kreisverband hatte am vergangenen Mittwoch im Rahmen des Jubiläums der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands in diesem Jahr zu einer Zeitzeugenveranstaltung ins AWO-Haus am Waldbad geladen.

Kein Stuhl war mehr im AWO-Haus zu erhalten, als Regionalgeschäftsführer Stefan Oetzel in die Veranstaltung einführte und unter vielen anderen die noch lebenden Mitglieder der Sozialistischen Jugend Deutschlands – Die Falken aus dem Jahr 1948 begrüßte. Die roten Falken, wie sie damals genannt wurden, waren bis zur Gründung der Jusos die Jugendorganisation der SPD. Der Referent des Abends, Heinz Martin, Jahrgang 1925, gründete zusammen mit andern die Falkengruppe kurz nach Beendigung des 2. Weltkriegs in Heidenheim.

Die Zusammensetzung der Teilnehmer der Veranstaltung war sehr interessant. Neben hochbetagten Männern und Frauen, saßen 30 – 40 Jährige und zahlreiche junge Menschen zusammen, die sich für die politische Geschichte der Stadt Heidenheim interessierten.

Heinz Martin, fast 88 Jahre alt, referierte offen und unaufgeregt, sachlich und klar in seiner Botschaft: Niemand der Anwesenden hatte in seiner Kindheit 5 Hausdurchsuchungen erlebt, er schon. In den Jahren 1933 und danach durchsuchte die damalige „Schutzpolizei“ zusammen mit Mitgliedern der NS-Sturmabteilung (SA) die Wohnung der Martins in der Heidenheimer Oststadt. Emil Martin, der Vater von Heinz Martin, damals einer der führenden Köpfe der Heidenheimer Sozialdemokraten, war den braunen Machthabern ein Dorn im Auge und wurde mehrfach festgenommen und eingekerkert.

Heinz Martin berichtete von der ersten Hausdurchsuchung, die morgens um 4:00 Uhr bei ihm zu Hause im Jahr 1933 stattfand, als man zeitgleich die politischen Gegner der Nazis im „Japanviertel“ heimsuchte. Martin erläuterte den Anwesenden, das Japan und China nicht nur im fernen Osten beheimatet sind, sondern auch in Heidenheim. Er selbst war „im Japan“ aufgewachsen, das Viertel, das zwischen der Heidenheimer Römerstraße und der Ludwig Pfau Straße liegt. Die Sozialdemokraten Emil Martin, Frieder Lochstampfer und Gottlob Wiedmann und einige andere wurden in sogenannte „Schutzhaft“ im Ulmer Festungsgefängnis Oberer Kuhberg genommen. Ohne Anklage und ohne eine Gerichtsverhandlung. Der Referent berichtete aus seinen Erinnerungen über den Alltag dieser Zeit, bei der ein Facharbeiter einen Stundenlohn von maximal 0,70 Reichsmark erhielt.

Schon Ende 1945 gründet der Vater von Heinz Martin mit einigen anderen Getreuen die Heidenheimer SPD erneut, die 1933 verboten worden war. Heinz Martin, der 1943, mit 17 Jahren zur Deutschen Wehrmacht eingezogen worden war, stieß 1946, sofort als er aus englischer Kriegsgefangenschaft entlassen worden war dazu.

Emil Martin wurde in den ersten frei gewählten Gemeinderat der Stadt Heidenheim gewählt und gehörte ihm bis zu seinem Ausscheiden im Jahr 1965 an. Die SPD erzielte ebenso wie die CDU, die von Hans Hannemann geführt wurde, bei dieser ersten Wahl 10 Sitze. Emil Martin und Hans Hannemann waren sich in ihrem politischen Handeln einig: „So etwas darf in Deutschland nicht noch einmal passieren“. Ihnen war klar geworden, dass der Umgang miteinander beispielhaft wirkt, in guten und im bösen Sinne. Heinz Martin konstatierte: Diese Maxime haben wir versucht immer einzuhalten.

Besonders interessant, vor allem für die jüngeren Zuhörer, waren die Rahmendaten, über die Heinz Martin und andere Anwesende berichteten. So zählte Heidenheim kurz nach dem 2. Weltkrieg ca. 35.000 Einwohner. Zu diesen kamen in den folgenden Jahren in der Spitze bis zu 14.000 Flüchtlinge hinzu. Auf einen Wohnraum, ein Zimmer, entfielen im Durchschnitt 2,1 Personen. Es war, so Martin, ein Gewaltakt, dieses Chaos zu organisieren. Und es fehlten nicht nur Wohnungen. Für die 3900 Schulkinder gab es nur 20 Klassenräume, da nur zwei Schulen freigegeben waren, alle anderen waren von den US-Truppen oder mit Flüchtlingen belegt. Die 3900 Kinder wurden von 63 Lehrerinnen und Lehrern unterrichtet. Dies ergab eine Klassenstärke von fast 62 Kindern. „Dieses Häuflein Lehrer“, so Heinz Martin, „arbeitete und unterrichtete im Schichtbetrieb. Und Sie mögen es mir glauben oder nicht, diese Kinder haben wenige Jahre später das deutsche Wirtschaftswunder ermöglicht“.

Auch über die Stadtpolitik berichtete der Referent: „Die SPD hat in all den Jahren als eine der beiden großen Fraktionen bewiesen, dass sie sich ihrer großen Verantwortung gegenüber den Menschen der Stadt bewusst war. Sie hat dies auch dadurch belegt, dass sie alle Haushaltspläne mitgetragen hat – in guten und in schlechten Jahren.“

Heinz Martin gehörte dem Heidenheimer Gemeinderat ab 1965 an. Er konnte erst dann kandidieren, als sein Vater nicht mehr antrat. Nach den damaligen Kommunalwahlgesetzen durften Verwandte in gerader Linie nicht gleichzeitig dem Gemeinderat angehören. Er blieb 21 Jahre Stadtrat und übergab 1992 den Vorsitz der SPD Fraktion an Wolfgang Staiger.

Die Diskussion über die Erzählungen von Heinz Martin war sehr lebhaft. Von der Gründung bzw. Wiedergründung der von den Nazis verbotenen Organisationen wie z.B. der AWO bis zum mangelndem politischen Engagement nach dem 2. Weltkrieg wurde gesprochen. Über den Bau des Waldbads, dem Neubau von Schulen oder die Überdeckelung des Wedels in der damaligen Turnstraße, die heute Clichystraße heißt. Bei Gesprächen in kleiner Runde endete der Abend.

 

Andreas Stoch MdL

Leni Breymaier MdB

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